Das Recht auf ein gutes Bild
Der Begriff „Social Sunday“ tobt aktuell an jedem Wochenende durch die sozialen Netzwerke von fotografie-affinen Menschen. Was steckt dahinter? Im Prinzip nichts, außer der Idee, ein paar Likes auf Facebook oder Klicks auf Instagram zu bekommen. Ein Tun und Hoffen ohne Substanz, denn was bleibt einem als Ergebnis? Wertlose Likes von Kollegen und viele Stunden an Sonntagen, an welchen man eigentlich produktiv hätte sein können.
Und schon wären wir beim Stichwort: produktiv sein. Was bedeutet das? Ist es nur das „Produzieren“ von Fotografien? Das Erwirtschaften von Umsatz oder Gewinn?
Manchmal ist Produktivität auch einfach mal etwas zu tun, was nichts mit Gewinnstreben zu tun hat. Wie sagte die ehemalige Landesbischöfin von Hannover und ehem. Ratsvorsitzende der EKD auf dem Deutschen Fundraising-Kongress Ende Mai in Berlin: „Das freiwillige Geben ist eine Konstante in der Gesellschaft.“ Vorauseilend dieses Zitats handelte ich so, als ein alter Freund, inzwischen Vikar in einer Kirchengemeinde in München mich Mitte April um einen Gefallen bat.
Er rief eines Donnerstag Abends an und schilderte mir seine Situation: „… am Sonntag ist Konfirmation, ein wichtiger Tag im Gemeindeleben von 31 Jugendlichen, und der bestellte Fotograf fällt wohl aus.. … könntest Du einspringen?“ Nach einem kurzen Termincheck sagte ich zu, wohl wissend, das ich hier neben einer Aufwandsentschädigung wohl nur Gotteslohn erhalten würde. Warum hab ich es trotzdem gemacht? Sicher nicht, um mir einen Charity Anstecker ans Revers zu heften, sondern eher aus tiefster Überzeugung. Aus tiefster Überzeugung eines Rechts auf ein gutes Bild. Jetzt ist unter Umständen der Aufschrei groß – „wer ein gutes Bild will, soll dafür auch gut bezahlen“ – ja natürlich, das gilt bei einem privaten Studio Shoot, im Businessbereich sowie bei Veranstaltungen, bei welchen das bleibendste und sogleich im Gesamtbudget das günstigste, oft eine Fotografie ist. In diesem Fall verhält es sich jedoch anders. Hier sind es 31 Jugendliche, welche sich wochenlang auf diesen Termin vorbereitet haben, und sie wollen etwas Bleibendes, manchmal wissen sie es nur noch nicht. Ein Foto von bzw. an einem Tag, das im Selfiestickzeitalter eine längere Halbwertzeit hat als der Akku eines Smartphones.
Hier ist es auch die Aufgabe bzw. vielleicht sogar die Möglichkeit eines Fotografen, jungen Menschen wieder etwas von der Kraft einer Fotografie spüren zu lassen, der Kraft, welche einem einst zu diesem Metier gezogen hat. Die Einzigartigkeit eines Moments, welche im nächsten schon für immer verloren ist, es sei denn, sie ist auf Film oder Speicherkarte festgehalten.
Wie nutzt man diese Möglichkeit, bzw. welche Mittel gibt es?
Die Frage habe ich mir auch gestellt. Wie bekommt man die Aufmerksamkeit eines pupertierenden Jugendlichen für zwei Minuten, wenn seine Freunde und Verwandte neben einem stehen, durch das Bild laufen, Anweisungen geben, Fragen zur technischen Ausrüstung des Fotografen stellen, usw.? Eigentlich ganz einfach: man muss versuchen die eigene Konzentration auf den zu Portraitierenden zu übertragen. Am besten, indem man sich persönlich vorstellt, mit einem kräftigen Händedruck Verbindlichkeit herstellt und einige kurze Anweisungen gibt, welche nur für den/die jeweilige/n bestimmt sind.
Ein kurzer Hinweis auf tolle Schuhe oder die Frisur helfen hier innerhalb von Sekunden eine Beziehung aufzubauen. Zu ändern ist jetzt sowieso nichts mehr, die Eltern haben unter mehr oder weniger Protest das Outfit ausgewählt und die Kinder fühlen sich darin mittel bis gar nicht wohl. Das führt soweit, dass ich zum Teil meine Überredungskünste spielen lassen musste. Drei der Jugendlichen wollten sich aufgrund des von Ihren Eltern gewählten Outfits nicht fotografieren lassen, einmal waren es die Schuhe, ein andermal der Anzug und natürlich durfte auch die allgemeine Abneigung gegenüber Fotografien nicht fehlen, welche in der Pubertät mit einer zu selbstkritischen Innensicht auf das Äußere einhergeht. Am Ende hatte ich alle überzeugt, auch wenn eine junge Dame einfach nicht lächeln wollte, aber diese Mode in der Fotografie hatten wir ja schon mal, und jede Mode kommt zurück. Auch dem Wunsch des Jungen, welcher mit der Auswahl des Schuhwerks durch seine Eltern nicht zufrieden war, habe ich bei einem Bild entsprochen – Deal ist schließlich Deal!
Was bleibt nach so einem Sonntag voller Arbeit am „Set“ und dem stundenlangen Sortier- und Nachbearbeitungsmarathon? Das gute Gefühl, etwas für die Gesellschaft im weitesten Sinne und evtl. auch für das Verständnis und die Werthaltigkeit von Fotografien getan zu haben, auch wenn man dafür mal ein „all-you-can-smile“ quer über den Kirchplatz raushauen musste. Für das Recht auf ein gutes Bild muss das schon mal drin sein.
Hinweis:
Auch wenn es sich hier um einen Fotoblog handelt, diesmal gibt es keine Bilder. Hintergrund: Da es sich größtenteils um Jugendliche unter 14 Jahren handelte und ihren Eltern die Privatsphäre sehr wichtig ist, verzichte ich auf die Veröffentlichung von Beispielbildern. Vielleicht ergibt sich in der Zukunft mal ein Shooting mit dem/der einen oder anderen fotogenen Jugendlichen, Potential haben einige.
Tech-Rider zum Shooting:
Schreibe einen Kommentar